Eugen Herrigel – Zen in der Kunst des Bogenschießens

Herrigel1Herrigels Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens ist eine der meisverkauften klassischen Japanbeschreibungen mit inzwischen über 40 verkauften Auflagen im Deutschen und Übersetzungen in viele Sprachen. Herrigel war Professor in Heidelberg, als er 1924 das Angebot erhielt, an der Kaiserlichen Tôhoku-Universität in Sendai zu lehren, welches er annahm und sich dadurch bedingt bis 1929 in Japan aufhielt. Sein starkes Interesse an Mystik, die er in Japan als stark präsent glaubte, begünstigte seine Entscheidung, die Stelle anzutreten.

Viele Wissenschaftler erheben in ihren Werken den Anspruch auf Gültigkeit ihrer Ausführungen, da sie vor Ort geforscht hätten und damit direkter Zeuge der von ihnen dargelegten Sachverhalte seien. Dieser Eindruck entsteht auch im Erfahrungsbericht des Deutschen Eugen Herrigel, der 1951 unter dem Titel „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ veröffentlicht wurde.  

Herrigel beschäftigte sich mit der Frage, ob es für Menschen zu seiner Zeit möglich sei, eine Kunst zu verstehen, deren Ursprung in weiter Vergangenheit liege und auf dem mystischen Weltverständnis des Zen aufbaue. Um sich dem Verständnis des Zen als Europäer annähern zu können, hielt er es für notwendig eine Kunstform auszuüben, die mit dem Zen in Verbindung steht. Daher wählte er das Bogenschießen als Mittel zur Analyse einer seiner Ansicht nach mystischen und bisher unzugänglichen, lebendigen Tradition in Japan. Mit Hilfe eines Dolmetschers nahm er das Training bei Meister Awa Kenzo auf. Für die Einführung in die Gedankenwelt des Zen bezog er sich auf den Ansatz von Daisetsu Suzuki, einem bedeutenden Zen-Philosophen und wichtigen Vermittler des Zen in den Westen. Auf dessen Theorie aufbauend behauptete Herrigel, dass es sich beim Zen um etwas handle, das man nicht durch Lektüre von Theorien und Hypothesen, sondern ausschließlich durch eigene Erfahrung verstehen könne.

Herrigel stellte in seinem Buch dar, dass es in der Kunst des japanischen Bogenschießens nicht um bestimmte Schusstechniken, sondern um die Einstellung des Geistes als zentrale Einheit gehe, was für ihn unverständlich erschien. An anderer Stelle sprach er von „Vorgänge[n], an die der Verstand nicht heranreicht“ (S. 71 f.). Nach Abschluss des Trainings war es Herrigel laut seinen Aufzeichnungen zumindest ansatzweise gelungen zu verstehen, was es mit der Bedeutung der „Großen Lehre“ und damit auch des Zen auf sich habe. Sein Meister erläuterte ihm, dass dies seine Sichtweise auf seine Umgebung ändern würde, wenn er aus Japan heimkehre.

Belegt durch seine persönlichen Erfahrungen betonte Herrigel am Schluss seines Buches erneut, dass sich das Zen über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelt und dass Suzuki mit seiner Übersetzung alter Schriften in zeitgenössische Sprache erheblich zum Verständnis des Zen in seiner Gegenwart beigetragen habe. Er stellte das Zen als allumfassende Wahrheit dar und der Leser wird seinen eigenen Gedankengängen und Eindrücken, die er durch das Buch vermittelt bekommen haben sollte, überlassen.

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Herrigels Zen in der Kunst des Bogenschießens wurde 1936 zunächst als Aufsatz in der aus dem nationalsozialistischen Interesse an Japan hervorgegangen Zeitschrift Nippon veröffentlicht. 1948 erschien der Aufsatz in Buchform, freilich gekürzt um jene Passagen, die Herrigels starke geistige Nähe zum Nationalsozialismus bis 1945 belegen. In seiner final überarbeiteten Fassung von 1951 hatte das Buch weltweit großen Erfolg. Allerdings ist der Inhalt des Buches nur unter bestimmten Gesichtspunkten und mit Einschränkungen zu verwerten, wie auch in einer Analyse von Yamada Shōji (2001) kritisch angemerkt wird. Ein Punkt, auf den Yamada aufmerksam macht, ist, dass Herrigel für die Kommunikation mit dem Bogenmeister Awa auf einen Dolmetscher zurückgreifen musste, weil er selbst keine Japanischkenntnisse besaß. Auf dieser Basis waren Missverständnisse oder Fehlinterpretationen von Ausdrücken nicht ausgeschlossen, weshalb die Zitate Awas im Buch möglicherweise nicht dem Wortlaut des eigentlich Gesprochenen entsprechen. Wie der Dolmetscher Komachiya in eigenen Aufzeichnungen selbst erklärte, habe er aus verschiedenen Gründen nicht alle Äußerungen Awas übersetzt. Schwer nachvollziehbare und vielleicht widersprüchliche Sätze habe er nach eigenen Angaben nur vage wiedergegeben oder gar vernachlässigt. Herrigels korrektes Verständnis von Awa konnte somit nicht mit absoluter Sicherheit gewährleistet werden und somit war die Basis, auf welche Herrigel seinen Bericht und seine Analyse stützte, nicht sonderlich zuverlässig.

Yamada Shōjis Einschätzung zufolge lagen außerdem unterschiedliche Intentionen bei Herrigel und Awa zugrunde. Herrigel war auf der Suche nach einem Weg, das „mystische“ Zen zu erforschen, während Awa, der wohl als exzentrischer Lehrmeister bekannt war, versuchte, eine neue Glaubensrichtung aufzubauen, welche aber keine unmittelbare Bindung zum Zen aufwies. Die semantische Verschiebung, die durch diese unterschiedlichen Absichten, Ziele und Einstellungen der beiden Männer entstanden ist, ist ein wichtiger Faktor für die Bewertung des Inhalts von Zen in der Kunst des Bogenschießens.

Trotzdem ist es interessant, anhand von Herrigels Werk und seiner Art der Berichterstattung über Japan die möglicherweise dahinter stehenden Ideen zu analysieren. Mit dem erklärten Ziel, den Zen zu verstehen und die „Kluft von Jahrhunderten“ (S. 23) zu überwinden, spielte er in ein heute bekanntes Schema hinein, das oftmals in Forschung über fremde Kulturen zu dieser Zeit auftrat. Dieses Schema arbeitet mit Dichotomien und stellt den Westen der jeweiligen fremden Kultur – in diesem Falle Japan – gegenüber. Der Westen sei rational, individuell, modern, wohingegen Japan die entgegengesetzten Eigenschaften emotional, kollektiv und traditionell zugeschrieben werden. Auf das Wesentliche heruntergebrochen, wird die Überlegenheit und Fortschrittlichkeit des Westens scheinbar bewiesen.

Auch in Herrigels Werk findet sich diese Ansicht in der Behauptung wieder, Japan sei das Land der lebendigen Tradition. Damit spielte er ein Stück weit darauf an, dass zumindest ein Teil Japans – wie die Kunst des Bogenschießens – nach wie vor an der Vergangenheit orientiert war und sich scheinbar kaum modernisiert hatte. Gerade die Passagen, in denen Herrigel beschreibt, wie er im Training mit rationalem Denken und Schusstechniken scheiterte, sind hier bezeichnend. Die Denkweise Awas, hier stellvertretend für Japan, sei irrational: Die Treffsicherheit beim Bogenschießen hänge nicht mit Technik, sondern mit richtiger Atmung zusammen, was Herrigel zunächst sinnlos erschien. Er beschrieb, wie er während einer Trainingseinheit in freier Natur versuchte, seinen Schuss allein auf Basis physischer Techniken durchzuführen, worauf sich Awa enttäuscht zeigte. Der Meister habe von ihm erwartet, dass sich der Schuss wie Schnee von einem Bambusblatt löse. So wird der Eindruck gestärkt, dass Japan und der Zen nach wie vor stark naturverbunden, emotional und nicht rational zugänglich seien, was Herrigels Verständnis von Moderne entgegensteht.

Interessant ist, dass Herrigel von sich selbst im neunten Abschnitt des Buches behauptete, dass er nach seiner Abschlussprüfung im Bogenschießen eine Ahnung davon bekommen habe, worum es sich bei der „Großen Lehre“ handle. Damit räumte er sich das Privileg ein, Aussagen über die Japaner und ihre Verhaltensweisen machen zu können, weil er – im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern – mit ihnen mindestens auf dem gleichen Wissensstand sei. Beim Lesen wird man jedoch das Gefühl nicht los, dass ein sehr esoterisches und spirituelles Interesse Grundlage seiner Forschung war. Deswegen bleibt beim Lesen unklar, was genau er denn nun letztendlich herausgefunden hat. Immerhin hat sich die Übersetzung des Buches auch in Japan gut verkauft und laut Yamada einen großen Einfluss auf das dortige Bogenschießen ausgeübt.

Caroline Fest


Quellen:

HERRIGEL, Eugen (1951): Zen in der Kunst des Bogenschießens. 27. Auflage, Bern/ München/ Wien: Scherz/ Otto Wilhelm Barth.

YAMADA Shōji (2001): „The Myth of Zen in the Art of Archery” In: Japanese Journal of Religious Studies, 2001 28/1–2. (Original erschienen 1999 unter dem Titel: shinwa to shite no yumi to zen. Fassung von 2001 ins Englische übersetzt von Earl Hartman.)